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Lastenradsharing – das Beispiel „Avocargo“ aus Berlin

Aktualisiert: 21. Juni 2023

Nach dem Vorstoß der Grünen, den Umstieg auf das Lastenrad bundesweit auch für private Zwecke zu fördern, ist in den vergangenen Wochen wieder mal eine hitzige Debatte um alternative Verkehrsmittel entstanden. Die Diskussion scheint allerdings oft am eigentlichen Punkt vorbei zu führen und ein emotionaler Disput zwischen den Befürwortern und Gegnern des privaten Pkws zu sein, wie der Spiegel hier beschreibt.


Zeitgleich hat in den letzten Wochen der Anbieter Avocargo mit der Einführung eines Lastenradsharings in Berlin auf sich aufmerksam gemacht. Gründe genug, dass wir uns das Thema Lastenrad mal genauer ansehen.


Kurz und knapp zusammengefasst:

Das Lastenradsharing von Avocargo funktioniert ähnlich wie das Free-Floating-Carsharing. Über eine App können sich Nutzende das nächste freie Lastenrad mieten und es anschließend überall im Nutzungsgebiet wieder abstellen. Beschränkt ist der Dienst in Berlin derzeit auf den Bezirk Prenzlauer Berg, was sich aber bald ändern soll. Auch Partnerschaften mit dem Einzelhandel bestehen (bspw. Bio Company, OBI). Der Mietpreis liegt bei 1,90€ für 20 Minuten.


Neben diesem Sharingdienst gibt es auch noch weitere Leihmodelle anderer Anbieter. Diese finden dann in Form eines Lastenradverleih statt (händische Übergabe des Rades). Auch hier gibt es eine Parallele zum Carsharing. Zu Beginn war die Leihe nur durch kleinere, lokale Vereine und mit händischer Übergabe des Schlüssels möglich. Inzwischen findet eine starke Entwicklung zu einer automatisierten Dienstleistung statt. Anbieter wie Sigo oder aber auch nextbike, die in einigen Städten Stationen haben, sind hier beispielsweise zu nennen.


Zielgruppen & Use Cases:

Angesprochen werden mit den Diensten derzeit insbesondere Menschen in urbanen Räumen. Die Lastenräder nehmen weniger Platz als ein Pkw ein und können flexibel genutzt oder abgestellt werden. Auf den Stauraum eines Kofferraums für Materialtransport oder Großeinkauf müssen die Nutzenden aber nicht verzichten. Auch für Familien mit Kindern ist die Mobilität durch ein Lastenrad deutlich vereinfacht, da für die Kleinen im Lastenrad genügend Sitzplatz zu finden ist. Problematisch sind in großen Städten die oftmals zu engen Radwege. Wichtig sind auch gute Abstellmöglichkeiten, damit der Fußweg nicht durch abgestellte Räder blockiert wird.


Aber auch im ländlichen Raum kann ein Lastenrad Anwendung finden, da es auch dort genügend Strecken gibt, die sich gut mit einem (Lasten-)Rad zurücklegen lassen. Zwei Drittel der Fahrten, die mit dem Auto zurückgelegt werden, sind nämlich kürzer als 10 km. Das Lastenrad könnte für gezielte Fahrten eingesetzt werden. Dabei ist eine gut ausgebaute Radweginfrastruktur entscheidend. Die Markgemeinde Cadolzburg in Mittelfranken, mit der wir bereits im Rahmen eines Projektes zum automatisierten Fahren zusammengearbeitet haben, erprobt derzeit bereits ein Lastenradsharing im eigenen Ort. Wir sind auf die Erfahrungen dort sehr gespannt.


Unsere Meinung

Mit dem Lastenradsharing bekommen die Nutzenden ein hohes Maß an Flexibilität und die Möglichkeit zum Transport von Gegenständen für einen Preis, der deutlich unter dem eines geteilten Autos liegt. Lastenräder sind ein ideales Sharingprodukt, da diese nicht täglich genutzt werden müssen. Zudem ist das einfache Abstellen ohne Parkplatzsuche und die lokale Rückgabe ein großer Vorteil. Gerade in Städten muss ein Fahrrad doch des Öfteren durch ein enges Treppenhaus oder in den Keller getragen werden


Josephine testet ein Lastenrad des Berliner Anbieters Avocargo

Leider ist das Lastenradsharing derzeit noch nicht flächendeckend verfügbar. Auch nicht in Großstädten, sodass viele Menschen noch nicht die Möglichkeit erhalten, die Räder auszuprobieren. Als positives Beispiel ist hier das Angebot Hannah! In Hannover hervorzuheben.


Unsere Mobilitätsexpertin Josephine Steiner ist begeisterte Lastenrad-Nutzerin. Um euch an Ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen, haben wir ihr ein paar Fragen gestellt…


Liebe Josephine, warum spricht dich das Lastenradsharing genau an und wie oft nutzt du diese Dienste?


Wir besitzen zwei Lastenräder. Aber wir haben auch die idealen Voraussetzungen dafür. Wir wohnen im Erdgeschoss und können unsere Räder nachts geschützt bei uns in der Wohnung abstellen. Seit wir die Räder haben, fahren wir häufig längere Touren. Freitags fahren wir in den Sommermonaten ins Berliner Umland, verbringen viel Zeit am See und draußen. Sonntags geht es zurück. Das wäre so ein typischer Fall, in dem sich andere Familien ein Auto anschaffen. Aber das wollten wir nicht.


Ein geteiltes Rad ist vor allem dann super, wenn ich das Lastenrad nicht für meine alltäglichen Fahrten brauche. Sei es der Wocheneinkauf oder der Ausflug mit den Kids am Wochenende… und damit ist es eben ähnlich zum Carsharing, nur viel klima- und städtefreundlicher.


Familienausflug geht auch ohne privaten Pkw

Du hast dich in den letzten Wochen mit dem neuen Anbieter Avocargo beschäftigt. Was ist deine Erfahrung mit dem Dienst und der Bedienung der App?


Avocargo finde ich super, weil das System freefloating ist. Ich brauch das Rad nicht „zurückbringen“. Auch die Größe der Transportbox ist super! Für kleinere Kinder finde ich die aktuellen Räder allerdings nicht gut gepolstert.


Das erste Rad, das mir auf der App angezeigt wurde, habe ich nicht gefunden. Vielleicht stand es im Hinterhof eines Altbauhauses. Das zweite Rad fand ich dann aber auf Anhieb. Schön ordentlich an der Laterne um die Ecke des Bio-Marktes geparkt.


Ein Lastenfahrrad am Rand des Fußwegs angeschlossen.

Die App fand ich okay. Das Schloss sprang mit einem lauten Geräusch auf. Da habe ich mich etwas erschrocken und geschaut, wie man das wohl wieder anschließen wird. Es war mir jedoch schnell klar. Den Bordcomputer am Rad fand ich nicht sofort selbsterklärend. Ging aber. Und: die Feststellbremse! Da kann man ja wirklich als Unbedarfter eine ganze Weile suchen.


Welche Aspekte sind für dich besonders wichtig? Und inwiefern unterscheidet sich das Fahren mit einem Lastenrad von einem normalen Fahrrad?


Ich fahre seit Dezember fast nur noch mein Lastenrad. Allerdings ist das zweirädrig und damit vom Fahrgefühl her nahe an einem klassischen Fahrrad. Nur das Lenken ist halt etwas anders.


Die Avocargos sind dreirädrige Lastenesel. Das coole ist, dass sie nicht umfallen. Man setzt sich also drauf und kann mit beiden Füßen auf die Pedale und steht erstmal. Ich habe allerdings den „Fehler“ gemacht und bin etwas zügiger und schräg vom Bordstein runter. Da kam das gute Teil ordentlich ins Kippen. Ich hatte Mühe und Not, dass es oder besser gesagt wir beide nicht umfielen. Daher drei Tipps. Nicht schräg irgendwo runterfahren, langsam um die Ecke fahren und wenn man um die Kurve fährt, lass die äußere Hand los. Man fällt eh nicht um. Den Wendekreis darf man eben auch nicht unterschätzen. Wenn du diese Dinge beachtest, ist das Fahren damit ein Kinderspiel.


Was würdest du Menschen raten, die noch nie auf einem Lastenrad gesessen haben. Wie können Berührungsängste abgebaut und Zweifel aus dem Weg geräumt werden?


Ich werde immer wieder von Freunden gefragt, die gerade ein Kind bekommen, was denn besser sei – ein Kindersitz hinten am klassischen Fahrrad, ein Kinderanhänger oder ein Lastenrad. Es gibt nicht die eine richtige Antwort. Ich antworte mit einer Gegenfrage: was brauchst du denn? Wann willst du denn wie unterwegs sein? der kurze Weg zur Kita und dann gleich weiter zur Arbeit… wie gestaltest du sonst deine Mobilität? Und häufig landen wir dann bei dem Punkt: komm vorbei und probiere es aus. Schau womit du dich wohl fühlst. Und genau für so was sind ja auch Angebote wie beispielsweise fLotte in Berlin da.


Und im Endeffekt ist es wie mit allem – die erste Erfahrung entscheidet. Daher würde ich allen Skeptikern raten ein Lastenrad Probe zu fahren. Leer, aber auch mit verschiedenen Beladungszuständen. Man ist erstaunt, was man so alles in so eine Transportbox reinbekommt. Es gibt ja schon auf der Velo einiges an Lastenrädern zu sehen und auch ein 24 Stunden Rennen für Lastenräder. Alles coole Events. Ein „Lastenrad-Eventtag“ im Kiez wäre eine schöne Sache.


Du bist ja selbst Besitzerin eines Lastenrades, nutzt aber auch die Sharing Angebote. Was spricht dich denn mehr an: ein privates Lastenrad oder ein geliehenes oder geteiltes Lastenrad?


Ein Lastenrad ist teuer und man braucht es nicht immer. Daher ist es ein gutes Sharing-Produkt. Für den Kindergeburtstag oder das Picknick im Park, ist es super. Auch aus dem Baumarkt haben wir schon einiges transportiert. Tatsächlich sind wir ein Haushalt mit zwei Lastenrädern. Das erste Fahrrad unseres Sohnes haben wir ebenfalls mit dem Lastenrad nach Hause transportiert. Kinderstühle, Ikea-Regale, Workshop-Materialien, Einkäufe und vor allem Kinder und der Hund fahren gern mit.


Avocargo habe ich daher erst einmal benutzt. Ich wollte gern wissen, ob es klappt und wie sich ein Lastenrad mit drei Rädern fährt. Das ist übrigens eine spannende Erfahrung.


Möchtest du uns und unseren Leserinnen und Lesern sonst noch etwas mit auf den Weg geben?


Viele Sharing-Angebote orientieren sich häufig an den Bedürfnissen von Männern. Also, für mittleres Alter, one-way, wenig bis gar kein Gepäck. Andere Zielgruppen werden selten adressiert. Frauen kombinieren häufiger Wege. Keine Frau schleppt den ganzen Tag den Kindersitz für das Auto mit herum, nur um das Kind später von der Kita zum Turnverein zu fahren. Das Lastenfahrrad könnte gezielt Frauen und Familien ansprechen. Es ist die ideale Lösung für Wegeketten, für kurze Wege, Wege mit und ohne Gepäck oder die Mitnahme von Kindern.

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